Michael Voigt , June 1, 2022
Eine neue Studie mit dem Titel „Faktenbasierte Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrags“ ist zu dem Schluss gekommen, dass die Bundesrepublik große Lücken bei der Regulierung des Glücksspielmarktes aufweist. Die Untersuchung will unter anderem herausgefunden haben, dass Deutschland sich keinen Gefallen damit tut, Internetangebote wie Online Poker und Online Casinos offiziell zu verbieten und damit einem nicht-regulierten Schwarzmarkt Tür und Tor zu öffnen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der sogenannte „DICE Kanalisierungs-Index“. Die Autoren der Studie sind drei Universitätsprofessoren verschiedener Fachrichtungen. Das Projekt wurde vom Deutschen Sportwettenverband (DSWV) und vom Deutschen Online Casinoverband (DOCV) gefördert und jüngst in Berlin einem breiteren Publikum vorgestellt.
Faktenbasierter Ansatz zur Zielüberprüfung
Die wissenschaftlich basierte Analyse des 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrags untersucht den deutschen Glücksspielmarkt im internationalen Vergleich. Anhand tatsächlicher Fakten bewerteten die drei Autoren, inwieweit die Gesamtheit der Regulierungsmaßnahmen in Deutschland ihr Ziel erreicht hat.
Als Grundlage und Analysereferenz dient der Glücksspielstaatsvertrag. Dieser nennt Spielsuchtprävention, Kanalisierung des Glücksspielmarktes in geordnete Bahnen sowie die Eindämmung des Schwarzmarktes, Jugend- und Spielerschutz, Bekämpfung von Betrug und Kriminalität und den Schutz der Integrität des sportlichen Wettbewerbs als die verfolgten und erklärten Ziele der gesetzlichen Maßnahmen.
Das Fazit fällt jedoch vernichtend aus. So seien sämtliche Ziele des Gesetzes verfehlt worden. Die faktenbasierte Herangehensweise soll zudem zu einer Versachlichung beitragen. Die Verfasser der Studie sind Prof. Dr. Justus Haucap von der Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Martin Nolte von der Deutschen Sporthochschule Köln und Prof. Dr. Heino Stöver von der FH Frankfurt.
Vernichtendes Ergebnis
Die angestrebte Kanalisierung des Marktes in legale Bahnen mit Hilfe des Glücksspielstaatsvertrages ist laut Studienergebnis gescheitert. So zeigten die Fakten, dass die selbstgesteckten Ziele des Gesetzes nicht erreicht worden seien.
Weder im Sportwettenbereich, wo bis dato keine einzige staatliche Lizenz vergeben wurde, noch auf dem Markt für Online Casino und Online Poker, wo die Zahl der nicht-regulierten Angebote Jahr für Jahr wächst, konnte der Staat wirksam eingreifen.
Und auch mit dem 2. Glücksspieländerungsstaatsvertrag, der 2022 in Kraft treten soll, werden die Missstände nicht behoben. So liefert dieser nämlich weder Lösungen für das Verbot von Online Casinos und Online Pokerangeboten noch lockert er die restriktiven Vorgaben für Sportwettenanbieter.
Fahrlässige Begünstigung illegaler Angebote
In der Konsequenz und in Ermangelung legaler Angebote drängen immer mehr Spieler auf den nicht-regulierten Schwarz- und Graumarkt, der die steigendende Nachfrage in eben diesen Bereichen besonders gut bedienen kann.
Eine solche Entwicklung führt schließlich zur Verfehlung aller genannten Regulierungsziele. Denn nur auf einem legalen und kontrollierbaren Markt sind Themen wie Spieler- und Jugendschutz oder Betrugsprävention realisierbar. Prof. Dr. Justus Haucap erläutert:
„Nur, wenn Glücksspiel legal stattfindet, kann der Staat auch seine anderen Ziele erreichen: Verbraucher zu schützen, Spielsucht zu bekämpfen und Manipulationen im Sport zu verhindern. Genau damit scheitert die aktuelle Regulierung aber auf ganzer Linie.“
DICE Kanalisierungs-Index vergleicht mehrere Länder
Besonders im sogenannten „DICE Kanalisierungs-Index“ schneidet Deutschland auffallend schlecht ab. DICE steht dabei für „Düsseldorf Institute for Competition Economics“, ein Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Der Index beschreibt die Geeignetheit und den Erfolg aller Maßnahmen eines Landes, die darauf ausgerichtet sind, den Grau- und Schwarzmarkt einzudämmen sowie das Spiel in geordnete Bahnen zu lenken.
Er kann als Messinstrument zur Wirksamkeit eines Maßnahmenbündels herangezogen werden. Bei 185 möglichen Indexpunkten erreichte Deutschland im Expertenranking lediglich 67 Punkten und ist damit Schlusslicht hinter Ländern wie Polen (85 Punkte), Frankreich (117 Punkte), Spanien (136 Punkte) und den vorderen Plätzen mit Großbritannien (155 Punkte) und Dänemark (169 Punkte).
Diese Länder offerieren im Vergleich zu Deutschland ein wesentlich breiteres Spielangebot und sprechen weniger Verbote aus, sodass der Kunde einen attraktiven und vielfältigen Markt vorfindet, der ihm keinen Grund bietet, auf den Schwarzmarkt zu wechseln. Neben Großbritannien und Dänemark wird auch Schleswig-Holstein als gutes Vorbild und Beispiel zitiert.
Wissenschaftler warnen vor der Alternative Schwarzmarkt
Bei der aktuellen Regulierungslage in Deutschland ist dem Schwarzmarkt eine rosige Zukunft garantiert. Die deutschen Totalverbote vieler Angebote zwingen Verbraucher regelrecht dazu, auf illegale Alternativen auszuweichen. Andere Länder sind dem Bund in dieser Hinsicht einen Schritt voraus und haben einen attraktiven und großen regulierten Markt geschaffen.
Die Studie empfiehlt, das konsequente Festhalten des Gesetzgebers und der Behörden an unflexiblen und rückständigen Regelungen zu verwerfen und stattdessen Online Poker und Online Casinos per staatliches Lizenzierungsverfahren in den regulierten Markt zu überführen. Prof. Dr. Heino Stöver macht unmissverständlich klar, dass der Gesetzgeber in dieser Hinsicht offenbar einem weit verbreiteten Irrtum aufgesessen ist:
„Die Vorstellung, es gäbe einen linearen Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit eines Suchtobjektes und dem Ausmaß der Suchthäufigkeit ist völlig antiquiert. Wie aktuelle Suchtstudien belegen, können Verbote sogar kontraproduktiv wirken.“
Ruf nach bundesweiter Sperrdatei
Mit der faktenbasierten Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrags wird nicht zum ersten Mal der Ruf laut nach einer bundesweiten Sperrdatei für Spieler. Diese sei länder- und anbieterübergreifend zu halten und solle für sämtliche Spielformen gelten. In der Vergangenheit hatte sich auch schon Grünen-Politiker Manfred Lucha aus Baden-Württemberg für eine solche Sperrdatei ausgesprochen . Weitere Empfehlungen der Studie an den Gesetzgeber sind außerdem:
- Abschaffung der Einsatzgrenze von 1.000 Euro pro Monat und Einführung eines freiwilligen Selbstbegrenzungssystems
- Einrichtung zuverlässiger aber kundenfreundlicher Erkennungs- und Authentifizierungsverfahren beim Online Glücksspiel
- Betrieb eines zentralen Kontrollsystems für lizenzierte Anbieter
- Abschaffung des Glücksspielkollegiums und Bestimmung einer zentralen Glücksspielregulierungsbehörde
All diese Empfehlungen werden jedoch mit dem 2. Glücksspieländerungsstaatsvertrag gekonnt ignoriert. Das neue Regelwerk nimmt keinerlei zielführende Veränderungen an der aktuellen Situation von Onlineangeboten oder der Vergabe von Lizenzen für Sportwettenanbieter vor und musste dafür auch bereits scharfe Kritik aus Brüssel einstecken.
Experten und Wissenschaftler sind sich zudem einig, dass eine erfolgreiche Regulierung in Deutschland auf Dynamik und Offenheit basieren muss und die Nachfrage nach digitalen Angeboten nicht ignorieren darf. Die Statik eines Glücksspielstaatsvertrages stehe einer Entwicklung hin zum regulierten Markt nur im Wege.